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Samstag, 9. März 2019

Turons Senf zu Gedächtniskraft [Star Trek Discovery, S2Nr08]

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zu "Gedächtniskraft", der achten Folge der zweiten Staffel "Star Trek Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen der Serie bereits gesehen hat.

I. Einleitung.
Five Year Mission ist eine sympathische amerikanische Band die sich fest vorgenommen hat, zu jeder Folge der Originalserie einen Song zu fabrizieren. Zu "Talos IV – tabu, Teil I" singen sie beispielsweise

"I once was the captain oft the Enterprise, in case you remember me Christopher Pike."

Meine bescheidene Übersetzung zu dieser Textzeile:

"Ich war einmal der Captain der Enterprise, Christopher Pike, falls sie sich erinnern können."

Auch wenn der Star-Trek-Pilot "Der Käfig", in dem Pike zu sehen war, mittlerweile mehr als fünfzig Jahre her ist, hat Captain Christopher Pike spätestens seit den Auftritten Bruce Greenwoods in den Kinofilmen J.J. Abrams' fulminant den Weg zurück ins kollektive Gedächtnis der Fans gefunden. Discovery geht nun gar einen Schritt weiter und holt die historische Figur zurück an den Ort, wo alles begann – nach Talos IV.
Aber warum?
Ist das reiner Fanservice?
Ein geschickter Rückbezug auf den größeren Kanon?
Und was ist nun mit der General Order 7, die den Besuch des Systems unter Androhung der Todesstrafe verbietet?
Diese Rezension sucht Antworten auf diese und viele andere Fragen zur aktuellen Folge Discovery.




II. Story.
Michael Burnham hat es geschafft:
Sie hat ihren Bruder nach Talos IV gebracht, wo telepathisch versierte Bewohner den Verstand Spocks wieder zurechtbiegen. Doch mit der Rückkehr seiner Zurechnungsfähigkeit geht auch ein frostiger Empfang ihres nachtragenden Ziehbruders einher, dem der rote Engel nicht weniger als den Totaluntergang des biologischen Lebens in der gesamten Galaxis (!) in Aussicht gestellt hat.
Derweil brennt auf der Discovery die Luft:
Nicht nur, dass Sektion 31 das Schiff von der Suche nach Burnham und Spock ausschließt; die Crew muss darüber hinaus einen hinterhältigen Maulwurf ausfindig machen, der Daten stiehlt und den Einsatz des Pilzantriebs sabotiert. Als sich die Zeichen verdichten, dass Ash Tyler hinter den unlauteren Machenschaften an Bord steht, wird der Verbindungsoffizier von der Brücke verwiesen, noch bevor sich das Schiff zur Rettung der vermissten Adoptivgeschwister nach Talos IV aufmachen kann.
Und:
Hugh Culber macht Schluss mit Paul Stamets!?




III. Lobenswerte Aspekte.

Eine Frage des Stils.
Heidewitzka, macht das einen Spaß!
Man kann Discovery ja einiges vorwerfen, aber langweilig wird es in der illustren Gesellschaft von Pike, Spock oder Burnham nicht.
Stringent verfolgt auch die achte Folge mit Engelsgeduld ihren roten Faden und versäumt es nicht, den Zuschauer in den Wogen ihrer aufeinander aufbauenden Episoden mitzureißen. Es macht im Moment schlichtweg Spaß, der Serie zu folgen.
Hinzu kommt, dass sie abermals handwerklich auf hohem Niveau daherkommt. Die einzelnen Szenen wirken elegant orchestriert und so bildgewaltig umgesetzt, als wären sie aus einem Comic-Buch entnommen worden sein. Gepaart mit schönen Frischluftaufnahmen der kanadischen Wildnis, kunstvollen Übergängen, ansehnlichen CGIs, aufwändigen Kamerafahrten, einem sehr gelungenen Soundtrack und weitreichenden Rückblicken markiert sie ein weiteres Mal den gesteigerten Standard, den die Serie seit dieser Staffel bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat.
Doch der wahre Höhepunkt ist ein anderer:
Nachdem sich bereits am Ende der letzten Folge angedeutet hatte, dass die Reise ausgerechnet auf das unwirtliche Talos IV gehen würde, wussten voll allem alteingesessenen Fans (Neueinsteiger dürften es trotz der gut gemeinten Videoschnipselshow schwer haben, diese Episode zu verstehen), dass es zu einem historischen Schnittpunkt zwischen der modernen Erzählweise der aktuellen Star-Trek-Serie Discovery und dem nicht ausgestrahlten Originalserien-Pilotfilm "Der Käfig" kommen würde, der immerhin prominent im TOS-Zweiteiler "Talos IV - tabu" weiterverwertet wurde.
Das mag im ersten Moment vor Fanservice gen Himmel stinken, bleibt aber am Ende der Folge erstaunlich unspektakulär, denn die Momente, die dem Planeten und seinen Bewohnern innerhalb der Handlung blieben, waren nicht nur überschaubar, sondern vor allem der Funktionalität untergeordnet: Die Fähigkeiten der Talosianer trugen nicht – wie etwa im Pilotfilm – die Handlung, sondern dienten eher als eines von mehreren erzählerischen Mitteln, um eine der (vielen) Baustellen der Serie schließen zu können. Statt sich ausgiebig an den Erinnerungen des wehrlosen Vulkaniers sattzusehen, helfen sie ihm, seinen Verstand wieder in die richtigen Bahnen zurückzulenken. Dass Burnham im Austausch doch noch die talosianische Gier nach Erinnerungspornografie stillen muss, dient abermals weniger dem Bad in wohltuender Fan-Nostalgie, als viel mehr dazu ein lange vor sich hergeschobenes Geheimnis endlich zu lüften. "Gedächtniskraft" ist eben nicht sympathischer Fanklamauk wie "Immer die Last mit den Tribbles", sondern eine gute Episode Discovery, die mal etwas mehr Star-Trek-Substanz als sonst bietet.
Deswegen bleibt die Folge wohl absichtlich weit hinter den immensen erzählerischen Möglichkeiten der Talosianer zurück (vgl. Kritikwürdige Aspekte) um ein Ausrufezeichen der etwas anderen Art zu setzen:
Nachdem sich Teile der Fanszene schon darin geweidet hatten, der Serie den Status der Zugehörigkeit zum offiziellen Kanon abzuerkennen, tritt sie nun für jedermann deutlich sichtbar den Beweis an, dass sie nicht nur einen fester Bestandteil des offiziellen Kanons repräsentiert, sondern - mehr noch – in der Lage ist, ihn maßgeblich zu beeinflussen. Es markiert sein Revier und unterstreicht, dass die noch junge Serie bereits jetzt schon eine feste Größe ist, die man nicht mehr kleinreden, wegdiskutieren, oder ignorieren kann. 



Zumal der Kanon im Allgemeinen und "Der Käfig" im Speziellen mit liebevollen Querbezügen bedacht werden. Wir hören davon, dass die in "Computer M5" etablierte Duotronik die Schiffs-Computersysteme der Discovery bestimmt, die Abschiedsworte der illusionären Geschwister Spock und Burnham gegenüber Leland erinnert an Datas Verabschiedungsformel in "Der unmögliche Captain Okona" und selbst Burnhams Schmähwort "half-breed" (im Deutschen völlig unzureichend als "Halbmensch" übertragen) für ihren kleinen Bruder wurden (zumindest im englischen Original) in gleicher Form bereits in "Der alte Traum" und "Falsche Paradiese" verwendet.
"Der Käfig" und "Talos IV – tabu" werden mit der Aufnahme der singenden, klingenden Pflanzen, der Sternenbasis 11 und den pulsierenden Adern auf den Schädeln der Talosianer gewürdigt, wobei mein persönlicher Lieblingsmoment jener ist, in dem Pike getreu dem Motto "Manchmal erzählt ein Mann einem Barkeeper Dinge, die er einem Arzt nie erzählen würde." in einem klärenden Gespräch mit Tyler Alkohol (Martini?) ausschenkt.
Abgesehen von ihrem vielleicht streitbaren Umgang mit dem Kanon bleibt der Folge zugutezuhalten, dass sie allerhand überfällige Antworten liefert. Wir können nunmehr in der Gewissheit Ruhe finden, dass Spock wieder normal, der rote Engel ein Mensch und Burnham eine gehässige Adoptivschwester ist.
Im gleichen Moment entlässt uns die Serie aber auch nicht ohne stapelweise neue Fragen aufzuwerfen, die den Spannungsbogen aufrechterhalten. Das Schiff ist auf der Flucht, die Crew hat einen Spion in ihren Reihen, die ehemalige Imperatorin gewinnt Stück für Stück die Kontrolle über die Sektion 31, Culbers Identitätskrise erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt und Ash Tylers unglückliche Position zwischen allen Stühlen führt ihn in den sicheren Stubenarrest.
Und wo wir schon bei der Sektion 31 sind [Achtung, es folgt eine Theorie!]:
Wir wissen nun, dass die Aktionen dieser elitären Sparte des Sternenflottengeheimdienstes von einer künstlichen Intelligenz namens Control gelenkt werden und dass in fünfhundert Jahren alles Leben in der gesamten Galaxis (!!) von einem technologisch hochentwickelten Gegner ausgelöscht wird.
Da steht wohl nicht ganz zu Unrecht die Frage im Raum, ob nicht diese künstliche Intelligenz dafür verantwortlich ist und als Gegner des roten Engels nun versucht, über die kybernetische Lebensform Airiam eine anderweitige Beeinflussung dieser Zukunft zu verhindern…




Charaktermomente.
Wer 'Talos IV' sagt, muss auch 'Christoper Pike' sagen.
Abermals läuft Anson Mount zur Höchstform auf und weckt berechtigte Bedenken über die Richtung von "Star Trek Discovery", wenn die bereits bestätigte dritte Staffel ohne seine Beteiligung über die Bühne gehen soll.
Hier darf er aber erst einmal die Folge mit einem persönlichem Logbucheintrag einleiten, einer Frau zärtlich über das Gesicht streicheln und die Besatzung in eine Meuterei führen, die Burnhams Revolte in der ersten Staffel nacheifert. Dabei spult Mount auf professionelle Weise ein Programm ab, dass zwischen unterschiedlichen Emotionsgraden wie nachdenklich, energisch, sinnlich, entschlossen, betrübt, optimistisch oder besorgt eine riesige Bandbreite glaubhaft vermittelt.
Daneben darf Ethan Peck erstmals zeigen, was er als Spock draufhat. Er eifert dabei - gut vorbereitet - dem Vorbild Mounts nach, indem er das fraglos schwere Erbe Leonard Nimoys und die Vorlage Zachary Quintos nicht eins-zu-eins zu kopieren versucht, sondern eine eigene Kontinuitätslinie irgendwo zwischen Nimoys ersten, sehr emotionalen Szenen in "Der Käfig" und dessen frühen Originalserienauftritten schafft. Er orientiert sich weniger am dem Zuschauer hinlänglich bekannten Bild Spocks, sondern nimmt sich ausgerechnet jene turbulente Zeit zum Vorbild, als die Rolle noch nach ihrer Identität suchte und mehrfach aus dem Rahmen brach, den spätere Folgen und Filme etablierten.
Auf diese Weise verpasst er diesem frühen Spock ein ganz eigenes Gepräge und verleiht der frühen Darstellung nachträglich eine Legitimation, die sich am besten im Spannungsfeld zwischen Emotionalität und Logik (wie es Discovery in dieser Staffel näher untersucht) zu zeigen vermag. So gesehen wurde der Ausschnitt eines lachenden Spock wohl nicht ohne Grund in die Diashow zu Beginn der Folge aufgenommen, denn sie spiegelt wieder, dass Pecks Form der Darstellung Spocks keineswegs ohne Vorbild im offiziellen Kanon ist.



Michael Burnham bleibt hingegen trotz des Besuches ihres beliebteren Bruders der Mittelpunkt der Serie und der Nabel des Universums. Tyler vertraut ihr bedingungslos, Pike sucht verbissen nach ihr und Spocks Charakter wurde erst durch ihre Taten zu dem geformt, was er heute ist. Das wirkt wie immer reichlich dick aufgetragen und es gereicht der Situation nicht immer zum besten, dass Burnham als emotionalem Gegenpart zu Spock die Aufgabe zukommt, seinen logischen Ausführungen gefühlsbetonte Reaktionen entgegenzusetzen, die bestenfalls egozentrisch, weinerlich und überdramatisisierend wirken.
Dafür kann freilich Sonequa Martin-Green nichts und in den Parametern, die diese Rolle erlauben, verrichtet sie einen guten Job.
Positiv überrascht war ich von Anthony Rapp, wohl aber vor allem, weil sein Charakter Paul Stamets in der Tat verändert wirkt. Statt des grummeligen Eigenbrötlers sehen wir hier plötzlich einen emotionalen, freundlichen und grundpositiven Menschen, der trotz aller Widrigkeiten versucht, seinem leidenden Partner nach allen Kräften zu unterstützen. Diese neue Seite steht der Figur bestens zu Gesicht, was man von seinem Partner allerdings nicht unbedingt behaupten kann.
Denn Hugh Culber ist nicht nur fremd mit sich selbst, auch ich als Zuschauer entfremde mich mehr und mehr von ihm. Zwar kann ich sein Martyrium und die damit einhergehenden Probleme durchaus nachvollziehen, aber mir fehlt der Anknüpfungspunkt zu dem liebgewonnenen, sanften Charakter aus der ersten Staffel inzwischen so sehr, dass ich mich mehr und mehr frage, ob dessen Wiederbelebung wirklich eine gute Idee war. Klar spielt Wilson Cruz den von Zweifeln zerrissenen Arzt so gut, wie Benjamin Stöwe ihn in der deutschen Synchronisation einspricht, aber der Funke vermag – bei mir persönlich – nicht überzuspringen.
Ash Tyler (Shazad Latif), Saru (Doug Jones), Philippa Georgiou (Michelle Yeoh), Sylvia Tilly (Mary Wiseman), Airiam (Hannah Cheesman) und Leland (Alan van Sprang) absolvierten allesamt stabile Auftritte mit vereinzelten Höhepunkten, ohne dabei allerdings in einer Form hervorzustechen, wie die fünf oben genannten Darsteller es taten. Allerdings wurden für jeden einzelnen von ihnen Fundamente gelegt, um in kommenden Folgen wieder mehr ins Zentrum des Geschehens zu rutschen.
Das Nhan (Rachael Ancheril) wieder zurück in den Schoß einer Besatzung fand, die als Ganzes abermals einen sehr positiven Gesamteindruck hinterließ, war insbesondere im Hinblick auf die Schlussszene (mit einer Crew die geschlossen hinter ihrem meuternden Captain steht) ein Höhepunkt ihrer Entwicklung bis hier her.
Bleibt nur noch, unser Auge nach Talos IV zurückzuwenden.
Gut, ich habe es verpasst, allzu große Ähnlichkeiten zwischen den Vina-Darstellerinnen Melissa George und Susan Oliver zu finden, die über das Statement "Sie sind beide blond." hinausgehen würden. Zudem weist Georges Neu-Interpretation so manchen Unterschied zum Original auf, der besonders traditionsbewussten Star-Trek-Fans gegen den Strich gehen könnte.
Am Ende gelingt meiner Meinung nach dennoch die Transformation einer Frau, deren Daseinszweck in der Vorlage mit dem Prädikat 'Eva' noch recht wohlwollend umschrieben wurde, zu einem Charakter, der eine Beziehung zu Pike hat, die über ein kurzes Techtelmechtel hinausgeht und rechtfertigt, dass er in "Talos IV – tabu" wieder in ihren Schoß zurückkehrt.
Exemplarisch zeigt sich an ihr die Bemühung der Serie Discovery, altbekannte Charaktere zu nutzen um durch sie eine Verbindung zum Kanon aufzubauen und dabei die ein oder andere Wertvorstellung, die seit den Sechziger Jahren zum Glück überholt ist (bestes Beispiel: das Frauenbild) ein Stückweit zurechtzurücken. Das tut nicht nur einer modernen Serie gut, sondern auch einer fünfzig Jahre alten, die heute auch deshalb schwer zugänglich wirkt, weil man sich nur bedingt in die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Zeit zurückversetzen mag – vor, allem wenn sie auf eine so fortschrittliche Zukunft projiziert werden.




IV. Kritikwürdige Aspekte.

Abramstrek im Discovery-Mantel.
Es wirkt in einer Folge, die sich massiv auf den Pilotfilm Star Treks stützt natürlich etwas schizophren sich zu beschweren, dass man sich zu sehr auf einen der vielen Star-Trek-Vorgänger beruft, aber für eine Serie, die in einer Zeit zehn Jahre vor der Originalserie angesetzt ist, scheint es zumindest im Hinblick auf den Stil der eigenen Show fragwürdig sich der gleichen Bildsprache zu bedienen, die zuvor der unter Fans eher unpopulären Star-Trek-Reboot etabliert hat.
Eine immense Anzahl unnötiger Lensflares, eine omnipräsente Wackelkamera und immer wieder aus den Kinofilmen entlehnte Sounds wecken schon auf einer eher unterbewussten Ebene einen unablässige Bezug zur Neuinterpretation J.J. Abrams'.
Doch während dies in den vorangegangen Folgen gleichermaßen geschah ohne zwangsweise als Kritikpunkt zu enden, geht diese Episode noch ein paar Schritte weiter.
Neben deutlichen darstellerischen Parallelen bei Spock und Pike zeigt sich der Kelvin-Schatten etwa in jenem lichtscheues Wesen, das aus dem trockenen Wald-(!) -Boden von Vulkan bricht wie ein Hengrauggi aus dem Eis von Delta Vega.
Auch der Gedankenrückblick auf eine Zukunft, in der sämtliches Leben in der Galaxis (!!!) von einer fremden Intelligenz ausgelöscht wird, erinnerte in seiner Wirkung massiv an die rote Materie des ersten Abrams-Kinofilms.
Aber man kann diesen Aspekt auch in einem positiven Licht sehen. Der gleichzeitige Einbezug von Elementen aus der Originalserie und dem Reboot könnte gleichermaßen auch als Brückenschlag verstanden werden, der insbesondere in dieser denkwürdigen Folge Alt-Fans, Abramstrek-Jünger und Discovery-Anhänger in ein Boot holt und die Unterschiede zu verwischen versucht.




Kanonbrüche und Logiklöcher.
Wie bereits besprochen ist es ein schmaler Grat zwischen Fanservice und origineller Handlung.
Die Zurückhaltung der Autoren ist in diesem Zusammenhang so sinnvoll wie notwendig, aber auf der anderen Seite lebt gerade Star Trek als abgeschlossenes Universum davon, dass es durch den größeren Kanon innerlich geschlossen erscheint.
Genau ist mit der Darstellung der Talosianer aber nicht gelungen. Dabei hab ich weniger an der optischen Überarbeitung der Supertelepathen auszusetzen, als an der inhaltlichen Darstellung.
In "Der Käfig" erscheinen sie nämlich noch als eine verzweifelte, dem Untergang geweihte Spezies, die sich eine Art Weltraumzoo aus vernunftbegabten Spezies hält, um sich ungefragt an deren Erinnerungen zu ergötzen. Das Spannende und Bedrohliche an diesem Volk ist im Pilotfilm eben der Widerspruch zur Ethik ihrer menschlichen Gefangenen, die ihre individuelle Selbstbestimmung und Unabhängigkeit über ihr eigenes Leben stellen.
Davon ist nur wenig übrig.
Nicht nur, dass die Talosianer plötzlich um Erlaubnis zur Gedankenextraktion fragen; es ist nicht mehr erkennbar, warum über dem gesamten System die (erstaunlich vielen Personen bekannte) General Order 7 verhängt wurde, die ein Betreten unter Androhung der Todesstrafe (!) untersagt. Sieht man diese freundlichen Damen und Herren, die Spock im Austausch gegen ein paar Erinnerungen gleich zweimal vor dem sicheren Tod bewahren, muss man darin eher einen Widerspruch zum großen Kanon erkennen, als den eingangs beschriebenen Schulterschluss.
Zumal die 'große Enthüllung' um den geheimnisvollen Zwischenfall, der Spock und Burnham entzweit hat, völlig unbefriedigend war. Jeder, der selbst Geschwister hat, hat in seinem Leben wohl schwerwiegendere Streitigkeiten mit seiner Sippschaft ausgefochten, ohne damit derart schwere Traumata auszulösen. Klar kann man sich darauf berufen, dass Spock Halbvulkanier ist, aber er bleibt auch zur anderen Hälfte Mensch und dieser lächerlich profane Vorfall verfehlte völlig die Wirkung, einen so tiefsitzenden Konflikt glaubhaften zu begründen. Der so lange herausgezögerte Moment ließ so andere Enthüllungen der Serie (wie Ash Tylers Identität als Voq, Lorcas Herkunft aus dem Spiegeluniversum oder Sareks Bevorzugung Spocks vor Burnham) im Vergleich jedenfalls wie ein clever inszeniertes Gehirnfeuerwerk erscheinen.
Nicht minder verwunderlich erscheint zudem, dass Spock nach dem Teilen seiner Erinnerungen mit Burnham plötzlich wie aus heiterem Himmel geheilt ist. Keine Erklärung erläutert diese rasante Entwicklung, die man mit einer Gedankenverschmelzung genauso gut hätte erzählen können, ohne den Umweg über Talos IV einzuschlagen. Nach einem so gewaltigen Anlauf von immerhin acht Folgen erschien die Blitz-Genesung des Vulkaniers arg überhastet.



Hinzu kommt, dass ausgerechnet Pike, der Dank Anson Mounts Darstellung innerhalb der ersten Folgen eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte, dass in ihm als Captain viel steckt als der ausschnittartige Einblick, den der Zuschauer in "Der Käfig" erhalten hat, hier auf die Ereignisse dieser Episode reduziert wird. Er fällt in die Arme Vinas als wären drei Tage und nicht drei Jahre Zeit vergangen, muss (zur Information des Otto-Normal-Zuschauers) eines seiner Crewmitglieder darauf hinweisen, dass er um den Status des gesperrten Planetensystems weiß und scheint am Ende doch jene Fähigkeiten der Talosianer vergessen zu haben, die er einst selbst am eigenen Leib spüren musste.
Kurzum, die Story klafft abermals vor Ungereimtheiten, halbgaren Erklärungen, ausgelassenen Gelegenheiten, Fehlinterpretationen, Falschdarstellungen und vor allem riesigen Logiklöchern.
Dabei sind die angesprochenen Kritikpunkte mal wieder nur die Spitze des Eisbergs.
"Gedächtniskraft" hinterlässt eine Vielzahl an Fragenzeichen, von denen ich einige final dem Leser zur Rechtfertigung überlasse, statt mich selbst darüber zu ärgern:
Warum hat riesige Discovery-Shuttle hat einen eigenen Transporter, obwohl die "Galileo" Jahre später keinen hatte?
Wenn die Sternenbasis 11 nur zwei Lichtjahre vom Talos-System entfernt ist, warum hat die Enterprise in "Talos IV - tabu" dann so lange dorthin gebraucht?
Ist Andoria seit neuestem plötzlich kein Mond mehr, der um einen Gasgiganten kreist, sondern ein Planet mit Ringen?
Warum gibt es im vulkanischen 'Glühofen' - einer der unwirtlichsten Regionen des gesamten Wüstenplaneten - plötzlich einen Wald?
Warum finden Sektion-31-Holo-Konferenzschaltungen mitten auf dem Flur ihres Schiffes statt?
Verliert Burnhams Shuttle etwa Plasma als es sich Talos IV nähert?
Aus welchem Grund wird bei Vinas entstellter Erscheinung zerzaustes Haar mit abstoßendem Äußeren verbunden?


V. Fazit.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich "Gedächtniskraft" ist nicht als die typische Cross-Over-Folge, die man nach dem Cliffhanger der letzten Woche hätte erwarten können. Stattdessen präsentiert sich die Episode als weiteres spannendes Kapitel in der geschlossenen Serien-Erzählweise, die die Vorlagen aus dem Kanon eher nutzt um die eigene Handlung voranzutreiben, als sich mit Fanservice aufzuhalten. Unter soliden darstellerischen und handwerklichen Leistungen mag die Folge zwar einige Baustellen schließen, doch sie versäumt es im gleichen Atemzug auch nicht, gleichzeitig ebenso viele neue Fragen aufzuwerfen.
So sind es am Ende wieder einmal zu viele unnötige Ungereimtheiten, ausgelassene Gelegenheiten und vermeidbare Logiklöcher die diese Folge hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben lässt.

Bewertung.
Gewohnt gute Folge mit gewohnt gleichen Mängeln.






VI. Schluss.


"You're not my hero, what are You doing in my world?"

Meine abermals bescheidene Übersetzung dieser Zeilen des Five-Year-Mission-Gassenhauers zu "Der Käfig" (mit Reimversuch!):

"Du bist nicht mein Held, was treibst Du in meiner Welt?"

Nein, Pike mag nicht wie Burnham im Mittelpunkt der gesamten Serie stehen. Und doch schafft der charismatische Captain es immer wieder, durch seinen historischen Einfluss den Rest der Discovery-Besatzung in ein Star-Trek-Fahrwasser zu lotsen, in das sie aus eigener Kraft wohl nicht gelangt wären.
So ist es nur schlüssig, dass der Weg der Discovery unter dem Kommando Christopher Pikes über kurz oder lang auch über Talos führen muss; egal wie tabu der Planet auch immer sein mag.
Je länger der Mann auf dem Stuhl sitzt, desto mehr lässt sich erahnen, dass er eine tiefe Spur in der Serie hinterlassen wird. Wer weiß, vielleicht trifft der Kommentar Damons bei der Rezension zur letzten Episode ja zu, dass am Ende hinter dem roten Engel gar dieser Christopher Pike steht, dem auf bei seinem ausgedehnten Krankenurlaub auf Talos IV durch die Einwirkung der Talosianer als einziger bekannter Figur immerhin die Möglichkeit offenstünde, im 28. Jahrhundert noch am Leben zu sein. Es wäre sicherlich ein versöhnlicheres Ende, als abermals Michael Burnham mit noch mehr Aufmerksamkeit zu überfrachten.




Denkwürdige Zitate.

"War das eine Illusion? Das ist ein Test gewesen! Jetzt sind wir wie Alice im Wunderland hinter dem Spiegel."
Michael Burnham

"Immer rein in mein Büro…"
Sylvia Tilly

"Ich kenne das so: Wer den Phaser hat, stellt die Fragen…"
Burnham

"Der Vulkanier empfindet Zeit als fließendes und nicht als lineares Konstrukt. Die konventionelle Logik hat ihn nicht weitergebracht."
Talosianerin

"Jetzt verstehst Du."
Spocks erste Worte

"Was ist denn bitte normal daran? Das hat es noch nie gegeben, dass Du für uns Essen gemacht hast!"
Hugh Culber

"Wieso bist Du so wütend auf mich?"
"Weißt Du was, das ist eine gute Frage."
Paul Stamets und Culber

"Mr. Tyler, das ist mein Schiff. Und noch wichtiger: Meine Crew. Ich gebe die Suche nicht auf. Ich lasse keinen im Stich; erst recht nicht, wenn Anschuldigungen bestehen, deren Berechtigung ich anzweifle."
Christopher Pike

"Wenn Sie Burnham mehr vertrauen als Sektion 31 – wieso arbeiten Sie dann für die?"
"Die agieren zwar in Grauzonen, doch ich schätze ihr Engagement für die Sicherheit aller Mitglieder der Föderation. Bei allem was war und was ich jetzt bin, kann ich dort von Nutzen sein."
Pike und Ash Tyler

"Spock! Du hast den roten Engel gesehen."
"Zuerst als Kind. Und dann vor ein paar Monaten."
"Wer ist er? Was ist er?"
"Wenn ich das wüsste, wären wir nicht hier."
"Das war eher eine rhetorische Frage."
"Als hätte ich mich das nicht auch schon selbst gefragt."
"Können wir unserem Gespräch eine andere Wendung geben?"
"Hast Du eine substanzielle Frage parat?"
"Ja; gibt Dir der Bart irgendwas?"
Burnham und Spock

"Eine mögliche Zukunft. Und die hängt unter Umständen von unseren Handlungen ab. Von Deinen und meinen."
"Von Deinen und meinenSpock, es gibt so vieles das ich…"
"Nein! Ich bin hier nicht um Dir Absolution zu erteilen, Michael Burnham. Es geht hier nicht um Deine Gefühle."
"Und ich bin so blöd und nehme das persönlich."
Spock und Burnham

"In der Vergangenheit werden Sie die Antworten nicht finden, Doktor. Stattdessen müssten Sie mich fragen, wieso ich mich an die Zukunft erinnere…"
Spock

"Ich weiß nicht mal, wer ich bin…"
"Was soll ich denn da sagen…"
Culber und Tyler

"Und Sie haben diesen Kampf zugelassen?"
"Ich war der Meinung die Konfrontation diene als notwendige und unausweichliche Katharsis. Für beide übrigens."
"Aber schwerlich als Beispiel korrekter Konfliktbewältigung…"
"Das Handbuch der Sternenflotte stellt leider keine verbindliche Richtlinie zum Thema Interaktionen zwischen Menschen mit eingepflanzten Klingonen und von den Toten wieder auferstandenen Schiffsärzten zur Verfügung."
Pike und Saru

"Captain, der rote Engel hat mir das Ende unserer aktuellen Zeitlinie offenbart. Wenn wir unserem Schicksal entkommen wollen, müssen wir der Vorsehung des Engels folgen."
Spock

"Sicherheit ist ein relatives Konstrukt und hat keine einheitliche Bedeutung."
Spock

"Wenn man's genau betrachtet, bin ich Dir dankbar. Deine Worte haben mir gezeigt, wie negativ meine menschliche Seite war."
"Nein, Deine menschliche Seite war wunderschön."
Spock und Burnham

"Im Versuch den Emotionen zu entkommen – und Dir – bin ich vollkommen in die Logik eingetaucht. Aber das Fundament meiner Logik – meiner Konstante – ist immer die Zeit gewesen. Jetzt lässt Die Zeit mich im Stich. Die Logik lässt mich im Stich. Die Emotionen lassen mich im Stich. Ich habe nichts worauf ich mich verlassen kann, doch genau das muss ich tun. Dieser Moment könnte für viele Zivilisationen und Millionen von Leben entscheidend sein, und ich bin nicht vorbereitet."
Spock

"Sehe ich in ihrem Gesicht etwa ein Lächeln?"
"Ich glaube schon. Ja."
Pike und Spock

"Jedenfalls sollten wir einen neuen Kurs setzen. Denn in ein paar Minuten…"
"... wird die Discovery das meistgesuchte Schiff der Galaxis sein."
 Pike und Saru

"Ich kann von keinem von Ihnen verlangen sich an etwas zu beteiligen, das einen klaren Akt des Ungehorsams…"
"Welchen Kurs, Sir?"
"Bewegen wir uns und zwar schnell!"
Pike, Kayla Detmer und Tilly

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"
Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"

Dienstag, 10. Oktober 2017

Turons Senf zur vierten Folge Discovery


Spoilerwarnung.

Dieser Artikel enthält nicht nur heftige Spoiler zu der vierten Discovery-Folge "The Butcher's Knife Does not Care fort the Lamb's Cry" sndern auch zu allen vorangegangen Episoden. Das Weiterlesen empfiehlt sich daher nur, wenn man sämtliche vorherigen Episoden bereits gesehen hat.

Einleitung. Endlich wieder eine Woche rum!
Es ist ein wahres Martyrium, eine Woche warten zu müssen, um die neue Folge sehen zu können (ich will gar nicht daran denken, wie das ist, wenn man ab Anfang November zwei Monate warten muss!).
Tatsächlich macht es sicherlich viel vom Reiz aus, eine neue Serie so eng begleiten zu können, vor allem, wenn man in der Lage ist, diesen besonderen Moment mit anderen Star-Trek-Fans teilen zu können. Insofern bringt Discovery jetzt schon Fans zusammen, egal ob sie zusammen auf einer Couch fernsehen, Rezensionen im Internet lesen oder – wie ich es am meisten mag – sich in Kommentaren dazu austauschen…


Story.
Michael Burnham ist angekommen. Vielleicht nicht dort, wo sie sich selbst, andere wie Sarek oder Captain Georgiou oder ihr Potential sie unter normalen Umständen hingeführt hätten, aber immerhin trägt sie auf einem Sternenflottenschiff wieder eine Dienstuniform.
Doch ihre Arbeit auf der USS Discovery führt noch immer zu mehr Fragen als Antworten. Spätestens aber, als sie von Captain Lorca beauftragt wird, jenes Monster von der USS Glenn auf verwertbare Waffentechnologie zu untersuchen, findet sie einen Fluchtpunkt aus dem Krieg der sie umgibt und erstmals kann sie sich wieder auf das konzentrieren, was die Sternenflotte ausmacht:
Forschung und Entdeckung.
Doch die Realität des Kriegs-Alltags holt sie und ihre Schiffskameraden schon bald ein, als die Hauptdilithiumquelle der Föderation von Klingonen angegriffen wird und Lorca die Wissenschaftler des Schiffes drängt, einen Weg zu finden, die hilflosen, eingeschlossenen Minenarbeiter zu entsetzen. Burnham entdeckt dabei, dass es ausgerechnet 'ihr' Monster ist, dass den lang gesuchten Schlüssel zur Verwendung der neuen Antriebstechnologie bergen könnte…


Lobenswerte Aspekte.

Charakterliche Abgründe.
Man kann Discovery ja viel vorwerfen (einer Tätigkeit, der Star-Trek-Fans ohnehin nur allzu gern nachkommen), aber sicherlich kann zu den Vorwürfen nicht gezählt werden, dass es der Serie nicht gelingen würde, erstmals seit langem wieder eine eigene Serien-Prägung entwickelt zu haben.
Dieser Umstand liegt meiner Meinung nach vor allem darin begründet, dass die Perspektive aus der die Geschichte erzählt wird, klarer zu verorten ist als je zuvor:
Hatte Star Trek zuvor einen vergleichsweise multiperspektivischen Blickwinkel (aus dem es in den besten Folgen ausbrechen konnte), teilt der Zuschauer nunmehr eher den Informationsstand, über den auch Burnham verfügt. Wie sie muss er sich die Details mühsam zusammenpuzzeln, eigene Schlüsse ziehen und gegebenenfalls (wie ich nach dieser Episode) die eigenen Vermutungen zum weiteren Ablauf des Geschehens ad acta legen.
Beim Blick in Burnhams Abgründe, in die man sich problemlos hineinidentifiziert ohne es so recht zu merken, kann man feststellen, dass man nicht zuletzt deshalb eine so große Schnittmenge erreicht, weil man als Zuschauer wie sie zu sein scheint. Man wird gegen den eigenen Willen in einen Krieg geworfen, muss aus den spärlichen Informationen eine Interpretation schustern und will doch eigentlich nur forschen und entdecken.
Und auch wenn Burnham noch immer von der restlichen Crew begafft wird, weiß sie doch wie der Hase läuft, bewährt sich in bester Sternenflottenmanier und wird schließlich wieder Teil von etwas größerem – einer Crew, in der sie ihren Platz noch finden muss.
Mein persönliches Highlight bleibt hingegen Captain Gabriel Lorca, aus dem einfachen Grund weil er ein Arschloch ist.
Er applaudiert gehässig, als seine eigene Crew eine Kampfsimulation nicht schafft. Er folgt seinem verletzten Chefwissenschaftler auf die Krankenstation, wo er den absurden Arbeitsdruck auf ihn noch weiter erhöht. Und er scheut sich nicht, das Gewissen der gesamten Crew durch einen Übertragung der Transmission der eingeschlossenen Minenarbeiter von Corvan II in Geiselhaft zu nehmen, um seine Ziele zu erreichen.
Das alles sind Verhaltensweisen, die weder ein Picard, noch ein Sisko und erst recht keine Janeway an den Tag gelegt hätten. Auf den ersten Blick wirkt das wenig wie Star Trek und völlig deplatziert.
Aber so manipulativ, berechnend und kaltblütig Lorca auch daherkommt, ist er bei Lichte besehen ein vergleichsweise typischer Sternenflotten-Führungsoffizier, denn die Archers, Kirks oder Georgious, unter denen es der Crew ein Privileg ist zu dienen, sind keineswegs die Regel, sondern eher die Ausnahme in ihrer Organisation.
Der Standard sind andere Befehlshaber, wie Star Trek sie nie müde wurde zu zeigen:
Personen wie Tracey, Merik, Ransom, Maxwell, Jellico, Benteen, Leyton, Dougherty, Marcus, Jameson usw.
Allenthalben gibt es derlei opportunistische Kommandanten und sie sind der Grund, warum wir Star Trek als so leuchtend empfinden – schließlich waren die bisherigen Serien-Captains allesamt ohne Fehl und Tadel. Aber die Wahrheit ist der ganze dreckige Rest da draußen, der immer nur dann hervorgekramt wird, wenn es gilt, dem leuchtenden Vorbild ein schlechtes Bespiel entgegenzusetzen.
Und deswegen mag ich Lorca. Erstmals erhält man einen Eindruck davon, wie andere Schiffe unter ihren Kommandanten funktionieren, was die anderen hochrangigen Offiziere antreibt und wie andere reagieren, wenn sie vor der gleichen Frage stehen, die Sisko in "Im fahlen Mondlicht" beantworten musste.



Gab es sonst noch was?
Kaum.
Die meisten Charaktere blieben im Hintergrund. Das gilt für Stamets genauso wie für den erstmals aufgetauchten Bordarzt. Der instinktgesteuerte Saru bleibt sich noch immer treu, vor allem darin, zu wenig Screentime zu erhalten. Und der größte Verdienst der Sicherheitsschefin Landry bleibt es, das Zeitliche effektvoll gesegnet zu haben, um dem Zuschauer in bester "Game of Thrones"-Manier zu zeigen, dass man zu keinem Charakter an Bord des Schiffes eine emotionale Bindung aufbauen sollte.
Davon abgesehen gab es nur noch einen erfrischenden Auftritt, nämlich den der Klingonin L’Rell. Ihr Darstellung war die lebendigste, die man unter den scheußlich dargestellten Klingonen bislang gesehen hat – nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht so hilflos durch die Geschichte stolpert, wie sämtliche männlichen Artgenossen es bislang tun.


Unberechenbarkeit.
Eine der besten Szenen der Folge spielt sich gleich in den ersten Sekunden ab. Erstmals wird man als Zuschauer Zeuge einer Replikation von innen, während man sich eigentlich fragt, was für eine scheußliche Weltraumanimation das jetzt wieder sein soll.
Doch weit gefehlt! Discovery spielt geschickt mit den Erwartungen des Publikums und ist sich nicht zu schade, ein mäßig dramatisches Setting durch den unerwarteten Tod eines Hauptcrewmitglieder drastischer zu gestalten. Mehr als bei Abramstrek, wo der Tod von Crewmitgliedern zwar von Anfang an als stilistisches Mittel billigend in Kauf genommen wurde, macht Discovery gleich von Anfang an Nägel mit Köpfen und ist sich nicht zu schade, Personen wie  Georgiou, T’Kuvma oder Landry kurzerhand abzusägen.
Am Beeindruckendsten war jedoch, dass man irgendwann inmitten der Folge den Eindruck erhielt, dass das abstoßende Äußere des Schiffes (ich bleibe bei dieser Kritik) bei aller Hässlichkeit einen praktischen Nutzen haben könnte, der mit dem neuartigen Weltraumsporenantrieb zusammenhängt. Es drängt sich nun die Frage auf, ob eine derartige spontane Sinnhaftigkeit mit allen vermeintlich anti-kanonischen Elementen wie der Holo-Kommunikation, dem unlogischen Aussehen der Klingonen oder der Gestaltung der Armaturen geschehen wird. Wenn Discovery dieses Kunststück am Ende der fünfzehn Episoden tatsächlich gelingen sollte, wäre dies ein weiterer Aspekt, der der generellen Qualität der gesamten Serie zugutekommen würde.


Kanon.
Hand auf's Herz – es gab recht wenig ergiebige Anlehnungen an den offiziellen Star-Trek-Kanon.
Dort eine kaum erkennbare Referenz an corvanische Gilvos, hier ein flüchtiger Untertitel zum Haus des Kor und irgendwann wird auch mal Zefram Cochranes Name beiläufig in den Raum geworfen.
Da hilft es auch nicht sonderlich, dass es einen Charakter namens Zaphod (Beeblebrox) gibt, Elon Musk als bahnbrechendem Erfinder Erwähnung findet oder die Spice-ähnliche Sporen ein Wesen derart beeinflussen, dass an die Navigatoren aus Dune erinnert.
Der Topos des unverstandenen Monster-Aliens ist hingegen so alt wie die Hortas selbst ("Horta rettet ihre Kinder"), der Topos der missbrauchten Wunderkreatur so alt wie die erste Mission der Enterprise-D ("Mission Farpoint") und der Topos mittels andersartiger Kreaturen die eigene Geschwindigkeit zu manipulieren so alt wie Voyager ("Equinox").
Immerhin sind die Anleihen aus anderen Star-Trek-Serien nicht so offensichtlich geklaut wie bei Seth MacFarlanes "Orville".
Daher ist, nachdem es der Folge erstmals nicht gelingt, einen großen Cliffhanger zu setzen ein anderer Punkt von immenser Bedeutung:
Spannung erstmals ein Privileg für Fans.
Der Antrieb der Discovery funktioniert endlich und man ist als Fan so ziemlich im Bilde, in welche RIchtung die Produzenten jene Kuh treiben werden. Als Trekkie ist man aber trotzdem gespannt, denn man weiß besser als jeder Gelegenheitszuschauer, dass das Ganze nicht funktionieren wird. Man ist sich schlichtweg im Klaren, dass dieses Unterfangen zu einem derartigen Fiasko mutieren wird, dass man noch Jahrhunderte später nicht darüber spricht, was mit der Discovery und ihrer revolutionären neuen Reise-Technologie passieren wird. Wir wissen, dass es eben keine Sternstunde der Sternenflotte werden wird und wir wollen erfahren warum.


Kritikwürdige Aspekte.

Moral mit der Brechkeule.
Zugegeben, "The Butcher's Knife Does not Care fort the Lamb‘s Cry" ist so ziemlich die erste Folge der Serie, in der jener puristische Forschungs- und Entdeckungscharakter das elende Kriegsthema übertrumpft. Ein Loblied auf besonnene Forschung ebenso, wie auf die Ideale, die Menschen zu Höchstleistungen anspornen.
Aber erstmals in der überschaubaren Geschichten der noch jungen Serie wird einem die Moral ins Gesicht geschleudert wie ein stinkender Fisch im Dorf der unbeugsamen Gallier.
Das wird besonders deutlich, wenn niedliche Kinder in die erste Reihe geschoben werden, um Emotionen zu schüren. Frei nach dem Motto "Kann denn mal einmal jemand an die Kinder denken?" fühlt man sich als Zuschauer nicht minder manipuliert wie die Crew der Discovery; spätestens wenn das kleine, ach so putzige Kiemen-Kind seinen kleinen Kopf in den Nachthimmel erhebt und seine ratlosen Eltern fragt, wem es die Wunderrettung gerade zu verdanken hat.
Das war echt unterste Schublade.
Aber es geht noch weiter!
Dazu kommt noch eine mäßig verschleierte Anklage an den Missbrauch von Tieren, die dem Rezipienten in einer so brachialen Offensichtlichkeit aufgetischt wird, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass hier jemand versucht hat eine Peta-Broschüre im Science-Fiction-Gewand zu verfilmen.
Die stilvolle Subtilität, mit der die tiefere Moral in vorangegangenen Folgen behandelt wurde, ist in dieser - schon mit einem derart pathetischen Titel versehenen - Episode (meine recht eigenwillige Übersetzung: "Des Schlachters Messer kümmern die Schreie des Lammes nicht") völlig verlorengegangen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Drehbuchautoren sie in den kommenden Folgen wiederfinden…


Kanonlöcher und Logikfehler.
Die offensichtlichen Sachen, wie das Äußere der Klingonen, der Widerspruch zwischen dem klobigen Äußeren der Schiffe und der modernen Bedienfelder sowie die unsinnige Verwendung von Holo-Kommunikation habe ich in den vorangegangenen Rezensionen ja bereits ausführlich angesprochen. So wie es jetzt aber aussieht, wird die Liste nunmehr um einen noch weiteren Punkt ergänzt.
Kols Diebstahl der Tarntechnologie, die den Klingonen im Kampf gegen die Föderation helfen soll steht in einem völligen Widerspruch zur Tatsache, dass die Klingonen diese Technologie zehn Jahre später in der Originalserie nicht benutzen. Klar, es wird auch niemals behauptet, dass sie nicht über einen solchen Vorteil verfügen, den schon im dritten Kinofilm niemanden mehr vom Hocker reißt, aber auch hier ist eine Unstimmigkeit entstanden, die zumindest einer näheren Erklärung bedarf.
Ansonsten ärgern mich in erster Linie die Vielzahl an Logiklöchern.
Wenn die Klingonen schon aus Verzweiflung Georgiou gegessen haben, warum sammeln sie nicht die 8.186 Sternenflotten-Toten der Schlacht vom Doppelstern ein, um sich von ihnen zu ernähren?
Warum brauchte die Enterprise-D in "Verdächtigungen" ein spezielles Schutzschild vor Sonneneinwirkungen, wenn die USS Discovery in ähnlicher Situation so lässig rausspaziert?
Was für ein kranker Geist liefert Pakete aus, die ständig piepsen wenn man sie nicht öffnet?
Und macht Burnham am Anfang der Folge nicht genau das, was sie am Ende der letzten Episode genau nicht machen wollte?
Meine Hauptfrage an die Produzenten bleibt allerdings diese:
Wer hat sich eigentlich die Mühe gemacht, bei der Evakuierung der USS Shenzou das Teleskop Georgious mitzunehmen, damit Burnham es später einmal erben kann?


Tempo, Tempo.
Ich kann nicht genau sagen, woran es genau gelegen hat, aber der gesamten Episode gelang es bei mir nicht, ein schlüssiges Maß an Dialog und Action zu finden. Durch die wichtigen Ereignisse raste die Story durch, um sich an den scheinbar weniger relevanten Stellen aufzuhängen.
Die Themen Krieg und Forschung lieferten sich einen so heftigen Schlagabtausch, dass man beinahe zwangsläufig  den Überblick verlor, was die Folge eigentlich zu sagen versucht.
So scheint es unlogisch, dass die Handlung zwischen dem Tod der Sicherheitschefin, dem Kampf gegen die Klingonen und dem ersten erfolgreichen Einsatz des Warpsporen-Antriebs im Vergleich zu den Vorgängern irgendwie bedächtig wirkte.
Eine gewisse Statik lag aber nicht zuletzt deswegen über der Szenerie, weil die gnadenlos ablaufende Zeitspanne von knapp sechs Stunden bis zum Fall der Kolonie auf Corvan II mit so vielen Entwicklungen, Irrwegen, Dialogen, Charaktermomenten, zu Untertitel-lastigen Klingonisch-Dialogen, Sterbeszenen und Durchbrüchen überfrachtet war, dass es am Ende zu dick aufgetragen wirkte. Hier hätte man sich an den Vorteilen des Streaming-Mediums orientieren können, dass im Gegensatz zum klassischen Fernsehserienformat nicht auf eine bestimmte Folgenlänge reduziert ist, sondern auch mal die Dreiviertelstunde deutlich überziehen darf.
Vielleicht wäre es von Vorteil gewesen sich einzugestehen, dass mehr manchmal eben doch mehr ist.


Übersetzung.
Die Übertragung ins Deutsche ist so gut gelungen, dass ich mich tatsächlich langsam sogar der deutschen Tonspur ohne Widerwillen beuge. Nur eines muss ich an dieser Stelle mal bemängeln:
Es gibt ein allenthalben akzeptiertes Wort im Deutschen, dass den englischen Begriff "Tardigrade" umschreibt. Er lautet 'Bärtierchen' oder auch 'Wasserbär'. Das hätte auch noch absolut zu den Erläuterungen Burnhams gepasst, aber stattdessen wurde auf einen kaum gebräuchlichen lateinischen Terminus zurückgegriffen. Das ist doof, vor allem, weil ein selbst ein 'Bär' trotz aller Verniedlichung noch immer ein gefährliches Tier ist…

Fazit.
Die vierte Discovery-Episode "The Butcher's Knife Does Not Care fort he Lamb's Cry" ist kein Kracher. Es ist eine durchaus stabile Folge mit einigen gelungenen Elementen, die vor allem in der Unberechenbarkeit und dem immensen Spielraum bei den Charakteren deutlich wird. Am Ende war die Informationslast aber zu viel, um nur von fünfundvierzig Minuten getragen zu werden. So fehlt ihr, wenn der Abspann anläuft, nicht nur ein angemessenes Tempo oder schlüssige Szenen ohne klaffende Logiklöcher, sondern auch die Subtilität in der Moralfrage, die diese Folge zur bislang schwächsten  werden ließen.


Bewertung.

"Sehr freundlich! Sehr gesittet!"




Schluss.
Auch wenn die vierte Folge Discovery etwas vom Fahrtwind verloren hat, bleibt man als Zuschauer etwas ungläubig zurück.
Wie geht es weiter?
Was passiert als nächstes?
Wie scheitert man in den kommenden Folgen?
Auch wenn ich über den ein oder anderen Teil schimpfe, komme ich am Ende doch nicht davon ab, auch der nächsten Episode entgegenzufiebern.
Es freut mich, dass Star Trek wieder da ist.
Es freut mich, dass es neue Wege betritt.
Und es freut mich, dass ich diese Freude gestreckt und nicht in einem Abwasch erleben kann.

Denkwürdige Zitate.

"Burnham. Michael. Vorläufige Zuweisung: Wissenschaftsabteilung. USS Discovery. Rang: Keiner. Replikation der Uniform beendet."
Computer der Discovery

"Es hat eine natürliche Aversion gegen Licht - so wie ich."
Captain Gabriel Lorca

"Ich merke immer wieder, wie sehr ich vulkanische Weisheiten hasse. Sie sind neu hier, deshalb gebe ich Ihnen jetzt mal einen Rat: Lorca interessiert sich nicht dafür, wer Sie sind. Er interessiert sich dafür, was sie tun können - für ihn. Und wenn er von uns erwartet, dass wir dieses Ding für seinen Krieg nutzbar machen können, dann werden wir genau das tun."
Sicherheitschefin Landry

"Kollision ist keine Option!"
Captain Lorca

"Zu verstehen wie es sich fühlt, ist nicht unsere Mission. Der Captain will wissen wie es kämpft. Und tötet. Lorca meinte, ich soll Sie im Auge behalten. Dass Ihre Neugier Sie vom rechten Weg abbringen könnte. Wir werden ihn nicht enttäuschen..."
Landry

"Jedes Raumschiff in der Galaxis - ob von den Klingonen oder der Föderation - braucht Dilithium. Wenn wir Corvan nicht beschützen können, werden tausende sterben und der Krieg ist verloren. Können Sie auch seine Unfähigkeit heilen unser Schiff dorthin zu bringen, wo es hin muss?"
Lorca

"Sie haben sich wirklich keinen Deut verändert, Burnham. Ihre reuevollen Worte waren nur geheuchelt. [...] Ich habe mich geirrt, was ihre Eingnung für die Crew angeht: Sie werden sich perfekt mit Captain Lorca verstehen."
Saru

"Ohne den Sporenantrieb schaffen wir es nicht rechtzeitig nach Corvan II. Und dann sterben sort alle. Ich kann den Leuten nicht helfen. Aber Dir kann ich helfen."
Sylvia Tilly

"Hallo Michael! Ich hoffe es geht Dir gut, wo immer Du Dir das auch gerade ansiehst. Inzwischen hast Du bestimmt Dein eigenes Kommando und bist Captain Deines eigenen Schiffes. Ich habe immer versucht Dir beizubringen nach einer Maxime zu leben. Der beste Weg sich selbst kennenzulernen ist, andere kennenzulernen. Du bist neugierig. Eine Entdeckerin. Und aus diesem Grund vermache ich Dir meinen geliebtesten Gegenstand. Seit Jahrhunderten wird er in meiner Familie weitergereicht. Meine Hoffnung ist, dass Du ihn benutzt, wenn Du damit fortfährst die Mysterien des Universums zu erforschen. Sowohl im Inneren als auch im Äußeren. Und halte die Augen offen und Dein Herz. Immer. Leb wohl, Michael und viel Glück! Ich bin wirklich so stolz auf Dich als wärst Du meine eigene Tochter. Gib gut auf Dich acht. Aber noch viel wichtiger: Gib gut auf die acht, die unter Deiner Obhut stehen.
"
Captain Georgious Hologramm


01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Sonntag, 4. Juni 2017

Turons Senf zum Discovery-Trailer


Einleitung. Ein guter Trailer erweckt bei uns Zuschauern eine unbändige Lust auf eine neue Serie. Er schürt die Vorfreude, spielt mit den Erwartungen der Fans und steigert die Spannung ins Unermessliche.
Insofern sind die beiden Star-Trek-Discovery-Trailer, die vor mittlerweile zwei Wochen in den Weiten des Internets für Aufmerksamkeit sorgten, für mich persönlich gescheitert.
Nicht, dass ich sie total doof fand oder – wie viele andere Star-Trek-Urgesteine in den Kommentarzeilen diverser Internetportale – völlig enttäuscht wurde, aber es gelang keinem der beiden Zusammenschnitte in mir eine der eingangs genannten Reaktionen hervorzurufen. Nun habe ich lange überlegt, woran das eigentlich gelegen haben könnte, habe die Spreu vom Weizen getrennt und möchte an dieser Stelle einmal die Gelegenheit nutzen zu erklären, was mir an diesem ersten Einblick in die kommende, siebente Star-Trek-Serie gut und weniger gut gefallen hat.




Lobenswerte Aspekte
.

Beförderungen. Für mich waren stets jene Star-Trek-Folgen am eindrucksvollsten, die aus dem üblichen Darstellungsrahmen herausbrachen und die Franchise um einen neuen Blickwinkel bereicherten. Zu diesen Meilensteinen zählten etwa Episoden wie "Im fahlen Mondlicht", "Es geschah in einem Augenblick" oder  auch "Carbon Creek", in denen der Zuschauer das Geschehen durch die Augen anderer zu betrachten lernt. Den Ehrenplatz unter diesen Folgen nimmt allerdings die TNG-Folge "Beförderungen" ein, in deren Verlauf eine Gruppe Junior-Offiziere kurz vor dem nächsten Schritt auf der Karriereleiter begleitet wird.


Reizvoll ist diese Episode vor allem deshalb, weil sie den Fokus von der traditionellen (und etwas eingerosteten) schiffs-zentrierten Erzählstruktur weglenkt, die Star Trek seit Anbeginn seiner Entstehung dominiert. Dabei ist es – wie die Karrieren der meisten Charaktere zeigt – Usus in der Sternenflotte, sich von Schiff zu Schiff hochzuarbeiten oder auch, wie etwa Tom Paris oder Ro Laren, einschneidende Laufbahnrückschritte hinnehmen zu müssen. Man wird von Posten zu Posten auf unterschiedlichen Stationen oder Schiffen durchgereicht, bevor man schließlich auf jenem Stuhl in der Mitte der Brücke landet, den so ziemlich jeder Sternenflottenoffizier tief in seinem Herzen begehrt.
Nun scheint mit Discovery und seiner Zentrierung auf den Hauptcharakter Michael Burnham genau der Fall einzutreten, dass sich eine ganze Serie diesem Lebenslauf-Prinzip widmen wird. In meinen Augen ist das ein ebenso erfrischender wie nachvollziehbarer Perspektivwechsel:
Schließlich kann man zum Beispiel im Fußball eine Dekade Bundesliga problemlos aus der Sicht eines Vereins, aber ebenso spannend auch im Hinblick auf den Werdegang eines einzelnen Spielers erzählt werden. Das Konzept birgt jedoch vor allem in Bezug auf Star Trek und der hierarchischen Struktur der Sternenflotte eine Menge Potential und verspricht für die kommende Serie eine wirklich noch nie dagewesene Prämisse. So kann Discovery aus dem Schatten seiner Vorgänger treten, völlig andere Geschichten erzählen und doch der großen Tradition treu bleiben. Vor allem aber bietet sie eine Glaubwürdigkeit, die den Fans seit Rikers so verzweifelten Klammern an der Position des ersten Offiziers der USS Enterprise nicht mehr vergönnt war.


Diversität. Die bisherige Darstellerriege greift gleich zu Beginn ein zentrales Thema Star Treks auf: seine Multikulturalität. Es gibt einen farbigen Hauptcharakter (Michael Burnham), einen asiatischen Captain (Philippa Georgiu) und einen neuen (frischen) Charakter einer unbekannten Spezies (Saru).


Damit greift sie nicht nur den Trend zu einer besonders diversen Crew (insbesondere die Multiethnizität bei TOS und TNG) auf, sondern geht vielleicht noch einen Schritt weiter:
Der Hauptcharakter Michael Burnham ist nicht nur scheinbar von Vulkaniern aufgezogen worden, sondern auch – entgegen seinem Namen – weiblich. Das wiederum führte zu heißen Diskussionen im Internet, ob es sich um den ersten transsexuellen Charakter handeln könnte, den die Star-Trek-Geschichte hervorbringen würde. Auch damit würden die Schöpfer eine gute alte Star-Trek-Tradition pflegen, die seit Folgen wie "Platons Stiefkinder", "Wiedervereinigt" oder selbst "Star Trek Beyond"  aktiv Position für fundamentale Menschenrechte bezogen.


In der Ruhe liegt die Kraft. Es ist auffällig, wie gut beide Trailer ohne Kampfszenen, Explosionen oder Feuergefechte auskommen. Stattdessen herrscht ein vergleichsweise dialog-lastiger Tenor vor, der dem eigentlichen Inhalt irgendwie zu wiedersprechen scheint. Denn obwohl klar ist, dass es sich bei beiden Vorschau-Spots wohl eher um Zusammenschnitte aus dem Pilotfilm handelt, dessen Handlung sehr wohl kriegerische Auseinandersetzungen beinhaltet, scheint es, als würden die verantwortlichen Produzenten durch den offensichtlichen Verzicht ein klares Zeichen setzen wollen: 'Seht her, wir sind mehr als anspruchsloses Popcorn-Kino.' Ob sich diese Kernaussage bewahrheiten wird, bleibt wohl abzuwarten; als Statement ist es dieser Tage jedoch – gerade im Hinblick auf die nun folgenden 'Kritikwürdigen Aspekte' eine willkommene Demonstration des guten Willens.


Kritikwürdige Aspekte.

Ein Stückchen Abramsverse in der Originalzeitlinie. Seit dem Star-Trek-Reboot im Jahre 2009 gibt es einen Effekt, der wie wohl kein Zweiter den Hass der Fangemeinschaft auf sich zieht: Lensflares.
Das fragwürdige stilistische Mittel war so überzogen eingesetzt, dass es sich zum Gegenstand des Gespötts entwickelte und selbst Abrams sich für dessen Verwendung entschuldigte.
Man könnte nun glauben, dass die Verantwortlichen aus diesem Fiasko gelernt hätten, doch das Gegenteil ist der Fall. Beide Trailer strotzen nur so vor überflüssigen Blend-Effekten.
Doch damit nicht genug.
Design-technisch steht die Serie deutlich in der Tradition des Abrams-Ablegers: die Uniformen, die Beleuchtung, das Aussehen der Schiffe oder die Konzeption der Bord-Instrumente sind so deutlich an die Reboot-Filme angelehnt, dass man als Fan schon berechtigte Sorgen haben muss, dass diese Ähnlichkeiten – so sehr sie eventuell an den veränderten Sehgewohnheiten unserer Tage orientiert sind – auch eine inhaltliche Fortsetzung finden. Es besteht die Gefahr, dass sich die kommende Serie ebenso an der Aussage-armen Kino-Film-Mentalität orientiert, womit sie Gefahr läuft, die Star-Trek-hungrigen Zuschauerschaften, die die Entstehung dieser Serie überhaupt möglich gemacht haben, gänzlich zu verprellen. Denn es ist zwar für Discovery überlebenswichtig, neues Fernseh-Publikum zu erschließen, aber nicht minder zentral, die Majorität der bestehenden Fan-Basis zu besänftigen. Dieses Mal – auf dem für die Franchise so vertrauten Fernsehbildschirm - kann der Anspruch nämlich nicht 'Not Your Father’s Star Trek' lauten.


Wieder ein Prequel. Die in meinen Augen allerdings fragwürdigste Entscheidung bleibt immer noch die Idee, Discovery zehn Jahre vor der Original-Serie spielen zu lassen. Nachdem bereits "Star Trek: Enterprise" so fulminant gegen die Wand gefahren wurde und J.J. Abrams das Feld mit seinen Reboot-Filmen plattgewalzt hat, wage ich zu bezweifeln, dass der Rückbezug unmittelbar vor eine mehr als fünfzig Jahre alte Serie, die den Produzenten zu 'cheesy' erschien, um sich an deren Design zu orientieren in der Lage ist, neue Zuschauergruppen zu erschließen.
Mal im Ernst: Niemand hätte etwas dagegen gehabt, wenn die neue Serie zwei, zwanzig oder zweihundert Jahre nach Nemesis gespielt hätte. Stattdessen begab sich die illustre Runde der Produzenten auf das glatte Eis eines Prequels.
Was dabei offensichtlich übersehen wurde: Es gab bereits einen Einblick in die Sternenflotte zehn Jahre vor TOS: Er hieß "Der Käfig", war als ursprünglicher Pilotfilm für TOS gedacht und diente als Haupterzählstrang des Zweiteilers "Talos IV – tabu". Vergleicht man nun die Trailer mit dieser Folge wird schnell klar, wie wenig Discovery in die Original-Zeitlinie passt.


Nun kann man natürlich nicht ganz zu Unrecht einwerfen, dass Widersprüche ein fester Bestandteil der Star-Trek-Kultur sind:
Zum Beispiel Khan, der sich im zweiten Kinofilm an Chekov erinnern kann.
Oder die Tatsache, dass sich die Romulaner bereits in "Das Minenfeld" tarnen können, aber in "Spock unter Verdacht" alle mit dem selben Trick überraschen können.
Oder die Trill, wie sie in"Odan der Sonderbotschafter" und "Der Abgesandte" in Erscheinung treten.
In die gleiche Kategorie plötzlicher Erscheinungsveränderung dürften wohl auch die etwas befremdlichen Klingonen in den Vorschau-Filmchen fallen, die laut Star-Trek-Historie (vgl. "Die Heimsuchung", "Die Abweichung", "Kampf um Organia", "Star Trek – Der Film" oder "Immer die Last mit den Tribbles") keine Stirnwülste haben sollten.


Das mag jetzt für ‚Softcore‘-Fans kein großes Problem zu sein, aber bei Lichte besehen macht Star Trek vor allem seine zeitliche Geschlossenheit aus. Diese innere Chronologie, auf die sich selbst spätere Folgen wie "Besuch von der alten Enterprise", "Immer die Last mit den Tribbles" oder auch "Im dunklen Spiegel" beriefen, ist der Kern der Faszination für viele Fans (wie z.B. mich selbst), die ihn ungern mit Füßen getreten sehen.
Man stelle sich nur einmal vor, dass die mittelalterlichen Langboote in der Hit-Serie "Vikings" bei ihren Beutezügen gen England plötzlich frühneuzeitlichen Galeonen mit Kanonen begegnen würden. Ein Faux-Pas, der der Serie definitiv Zuschauer kosten würde.
Ähnlich verhält es sich mit Star Trek: Stirnwulstlose Klingonen, bunte Knöpfe und nicht minder bunte Uniformen sind schlichtweg ein Teil einer größeren Geschichte.
Die Annahme, dass es sich bei aller Fiktionalität um eine Fortsetzung der Zeitlinie handelt, ist ein zentraler Aspekt seiner Existenz in allen sieben Serien.
Von daher ist es vielleicht gar keine so schlechte Idee, wie bei Marvel einen Supervisor zu installieren, der auf die Einhaltung der bestehenden Zusammenhänge achtet.
Schließlich muss sich eine Serie wie Discovery, über der von Anfang an das Damokles-Schwert der Original-Serie schwebt, eine Kontrollinstanz schaffen, der sich zumindest bemüht, die Anzahl der Widersprüche zum Kanon so gering wie möglich zu halten. Ansonsten läuft sie durch die Wahl eines Prequels Gefahr, die gleiche – wenn nicht noch größere – Ablehnung wie das Abramsverse zu erfahren.


Fazit. Ich möchte wirklich nicht in den Schuhen der Verantwortlichen dieser Serie stecken. Die Macher müssen es schaffen, ein Produkt abzuliefern, dass dem launigen Sender CBS gefällt, dass neue Zuschauerschichten akquirieren kann, die alten Fanschichten bei der Stange hält, die Zeitlinie beachtet, die Fehler der Vorgänger vermeidet, etwas Neues bietet, die alten Traditionen befolgt und vor allem von Anfang an ein Quotenerfolg wird.
Böse Zungen könnten behaupten, dass dieser Spagat unmöglich sei und definitiv wird nicht jeder Discovery mögen. Doch anstatt das Glas als 'halb leer' zu bezeichnen, versuche ich mich vor allem auf die positiven Signale zu stützen, ohne die negativen Seiten auszuklammern. Sie halten sich nämlich die Waage und es ist noch viel zu früh, um ein Urteil über eine noch nicht ausgestrahlte Serie anhand ein paar Schnipsel aus dem Pilotfilm zu beurteilen.
Und machen wir uns nichts vor: Wir alle werden uns Discovery ansehen, egal welchen Eindruck der ein oder andere Trailer hinterlässt. Es ist die erste Star-Trek-Serie seit mehr als zehn Jahren und wenn mich die Franchise eines gelehrt hat, dann ist es neuen Welten gegenüber offen, neugierig und unvoreingenommen gegenüberzustehen.